Vor Jahren – es könnte sein, dass es vielleicht schon ein Jahrzehnt ist – stieß ich in einem Blogpost auf ein sehr interessantes Buch: Diana Athill, Stet. Ich suchte es verzweifelt online und wurde schließlich in einem Antiquariat fündig. Sträflicherweise stellte ich es ins Regal und holte es erst in diesem Jahr zum Lesen heraus. „Stet“ ist die Geschichte von Diana Athill und ihrer Arbeit im britischen Verlagswesen. Ihre Erfahrungen, Begegnungen und Höhen und Tiefen als Lektorin hat sie in diesem kleinen Band von etwa 250 Seiten zusammengefasst.
Autobiographien sind immer außergewöhnlich. Sie beschreiben das Leben eines Menschen. Das mag für einige langweilig aussehen, für andere abenteuerreich gespickt sein. Das Leben einer Lektorin ist vielleicht nicht zwingend mit dem Leben eines Piloten oder Handelsreisenden zu vergleichen, die Kilometer um Kilometer in der Welt zurücklegen. Aber eine Lektorin reist auf ganz anderen Wegen kreuz und quer durch die Geschichte, die Welt und die Gedanken der Menschen. Das Arbeiten mit Autoren, Verlegern und anderen Menschen aus der Buchbranche ist mindestens so vielseitig und abwechslungsreich wie jeder andere Beruf auch. Und einen Einblick in diese Vielseitigkeit zu bekommen, finde ich immer wieder spannend.
Ich war selbst einmal Lektorin und viele ihrer Aussagen würde ich 1 zu 1 so unterschreiben. Sie schreibt mit Leidenschaft und hat einen ganz eigenen Humor, der immer wieder durchblitzt. Das gefällt mir ungemein gut.
Das Buch ist in zwei Teile aufgeteilt. Im ersten Teil schreibt Athill ihre Erinnerungen zum Entstehen des Verlages von André Deutsch und seiner gesamten Entwicklung. In Teil 2 geht sie an besonderen Beispielen auf die Beziehungen zwischen Lektor und Autor ein.
„But several (authors) of them have enlarged my life; have been experiences in it in the way I suppose, that a mountain is an experience to a climber, or a river to an angler; and the second part of this book is about six of those remarkable people.“ (S. 134)
Mordecai Richler, Brian Moore, Jean Rhys, Alfred Chester, V. S. Naipaul, Molly Keane – das sind die sechs Autoren, die sich in Athills Leben auf ewig eingestempelt haben.
Diana Athill hat das Auf und Ab einiger der wichtigen großen Verlagshäuser miterlebt. Sie hat emotionsreiche Jahrzehnte mit schwierigen, lustigen, langweiligen Menschen hinter sich. Bei all dem ist ihre Leidenschaft fürs Lektorieren aber geblieben. Und dafür bewundere ich sie. Sie ist witzig, direkt, reflektierend und einzigartig. Ich hätte sie gerne einmal kennengelernt, aber sie starb in diesem Januar (23.1.2019) mit 101 Jahren. Sie muss eine bemerkenswerte Frau gewesen sein.
// Diana Athill, Stet, Granta Books 2000, ISBN 9781862074408, 250 Seiten. (Die aktuelle Neuauflage des Buches findet sich unter der ISBN 9781847084279).