Die Faszination für Kriegsreporterinnen

Die Faszination für Kriegsreporterinnen

Während meines Studiums habe ich bei einer Literaturzeitschrift als Redakteurin mitgearbeitet. Damals rezensierte ich ein Buch von Martha Gellhorn. Der Dörlemann Verlag hatte das Buch „Ausgewählte Briefe“ herausgegeben. Damals, das war am 23.3.2010, vor etwas mehr als 8 Jahren entdeckte ich meine Faszination für Kriegsreporterinnen. Diese Rezension weckte aber nicht nur diese Faszination. Seitdem lese ich unglaublich gerne Autobiographien und vor allem auch Martha Gellhorns fiktionale Werke. Es war ein regelrechter Weckruf; dieses Buch vom Dörlemann Verlag.

Ausgehend von Gellhorns eigenen Werken suchte ich weitere Kriegsreporterinnen. Diese Frauen wagten sich mutig in die schlimmsten Gebiete auf der ganzen Welt, um über Kriege und Krisen zu berichten, komme was da wolle. Jeder Krieg war anders und gleichzeitig ähnlich schrecklich wie die vorhergehenden. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie die Schrecklichkeiten die sie sahen niemals los ließen. Sie wollten darüber berichten, sie wollten, dass die Ungerechtigkeit und die Qualen, die Menschen vor Ort aushalten und erleiden mussten, bekannt wurden. Über das Schreckliche musste berichtet werden. Denn wie konnte man sonst aus den Fehlern lernen? Wie konnte man sonst die Welt zu ein bisschen mehr Würde und Menschenverstand zwingen, wenn keiner in der guten heilen, kriegslosen Welt von zu Hause etwas mitbekam. Zuerst stand die Information, dann war vielleicht irgendwann die Chance, dass die Menschheit sich doch änderte. Trotz Angst, Todesdrohungen, Gefahren unaussprechlicher Art haben sich Frauen als Reporterinnen in Kriegsgebiete begeben.

Ich bin noch nicht zu den frühesten durchgedrungen, aber aus dem 20. und 21. Jahrhundert habe ich nun schon ein paar Memoiren, Berichte, Sachbücher oder Briefsammlungen von Kriegsreporterinnen gelesen. Viele veröffentlichen nicht nur in den aktuellen Medien (Print, Fernsehen, Online), sondern schreiben tatsächlich noch Bücher. Wie sie das neben ihrem aufreibenden, stressbehafteten und 24/7 Beruf schaffen, ist mir ein Rätsel.

Diese Liste ist bei weitem noch nicht einmal ansatzweise vollständig. Es ist eine fortlaufende für mich. Sobald ich ein Buch zu dem Thema finde, kommt es auf meine Liste und ich werde es sicherlich irgendwann lesen. Aber hier sind einige der Bücher von Kriegsreporterinnen, die ich gelesen habe, die mich beeindruckt haben und die ich dringend zur Lektüre empfehle.

Bücher von Kriegsreporterinnen
Bücher von Kriegsreporterinnen

Angezogen vom Krieg und der Krise

Die Frage, warum setzen sich Frauen solchen Gefahren aus? Warum tun sie das immer wieder? Die Fragen bleiben bestehen. Aber der Wunsch durch die Wahrheit, durch das Berichten, durch die Information ein größeres Verständnis bei den Menschen hervorzurufen und dann eine gewisse Handlung, Aktion oder Reaktion zu erhoffen, ist wohl mehr als verständlich. Dass Menschen sich unglaublich schreckliche Dinge antun können, sehen wir täglich, nicht nur in den Nachrichten. Es wird Zeit, dass wir anfangen, darauf auch entsprechend zu reagieren und nicht tatenlos zuzusehen. Viele der Reporterinnen sind sich bewusst, dass diese Reaktionen, die sie hervorrufen wollen, nicht passieren, vielleicht niemals passieren werden. Aber das hält sie nicht davon ab, trotzdem ihren Job zu machen.

Martha Gellhorn schrieb dazu einmal in einem Brief: „wenn die öffentliche Meinung überhaupt zählt, dann hat auch diese Art des Schreibens seine Berechtigung. Ich will damit nicht sagen, daß irgend etwas von dem, was ich schreibe, unmittelbar Taten nach sich zieht oder überhaupt irgendwelche Taten; ich bilde mir aber gerne ein, daß es ein gewisses Klima schafft, daß es die Leser für etwas sensibilisiert. Der zweite Aspekt ist negativ; wenn meinesgleichen nicht schreiben würde, täten es viel schlimmere Leute. Ich kann nur die Wahrhaftigkeit dessen, was ich schreibe, garantieren, ohne je zu behaupten, daß es die ganze Wahrheit wäre, denn ich kenne nie die ganze Wahrheit, und wenn, würde sie keiner drucken. Aber ich weiß, daß ich gewissenhaft und bemüht bin und nichts erfinde, und ich glaube tatsächlich, daß ich etwas negativ Nützliches tue, indem ich den Raum und das Papier benutze, die sonst von weitaus Schlimmeren in Anspruch genommen würden.“

Entdeckergeist, Eroberung, Trotz, Sturheit, Informationssucht und eine gute Portion Mitgefühl habe ich bisher in allen Berichten gelesen. Ein kleines bisschen Verrücktheit hilft wahrscheinlich auch. Und was auch auffällt, neben allen politischen Zügen, Veränderungen und Propagandatouren, das von dem diese Frauen vor allem erzählen, sind die Leiden der Zivilbevölkerung. Der Versuch einen Alltag wieder zu finden zwischen Ruinen, Rauch und Bombeneinschlägen. Die Menschen sind ihre Themen! Nicht die Politiker, nicht die Soldaten – auch wenn diese natürlich alle vorkommen – aber der völlig normale 08/15-Mensch, der unter den Entscheidungen einiger weniger leiden muss und sich dem Grauen ausgesetzt sieht. Der Blick hinter die Kulissen des Krieges ist immer erschreckend, immer sprachlos machend und immer suchend.

 

Lest diese Bücher! – Eine Liste

 

Lynsey Addario, Jeder Moment ist Ewigkeit

Lynsey Addario ist Fotografin. Das Buch ist ein kleinwenig mehr Autobiographie, als andere Kriegsreporterberichte. Aber es macht die Unruhe der Kriegsfotografin und die Ausmaße, die der Krieg auch auf ihr privates Leben hat, sehr schön deutlich. Addario kommt in der Welt viel herum und hält sich vorwiegend in Krisengebieten auf. Den Umgang mit den Gefahren schildert sie ähnlich packend wie Gellhorn oder di Giovanni. Und auch sie kehrt immer wieder an diese Höllenorte zurück: trotz drohender Gefahr, trotz bereits erlittener Erfahrungen wie etwa die Tode von Kollegen, die eigene Entführung und andere Schrecken. Ihre Fotos sind zum Teil dokumentarisch, aber auch ihr künstlerischer Blick lässt sich immer wieder darin finden. Das Ätherische des Schreckens, des Erlebten und wie das Durchatmen nach einem Angriff fängt sie in ihren Fotografien ein.

// Lynsey Addario, Jeder Moment ist Ewigkeit, Econ Verlag 2015.

 

Janine di Giovanni, Der Morgen als sie uns holten. Berichte aus Syrien

Selten hat mich ein Buch so berührt. Es sind Vignetten von Schicksalen in Syrien: Der Bäcker, der nicht gehen will und versucht, die wenigen zurückgebliebenen noch zu versorgen. Der Student, der im Widerstand kämpft und die junge Frau, die Assads Gefängnisse nur knapp überlebt hat. Dies sind nur einige wenige Beispiele. Die Menschen kommen bei ihr zu Wort und erzählen von den Schrecken ohne sie eindeutig zu benennen. Di Giovanni versucht mit den Menschen zu sprechen, ihnen tatsächlich einmal zuzuhören. Janine di Giovanni schildert mit einer unglaublichen Einfühlsamkeit von dem Unausprechlichen. Sie schafft es, die Atmosphäre eines ganzen Landes wiederzugeben. Die Widersinnigkeit, das Verdrängen, die Vergessenheit – gegen all das schreibt sie an. Das Buch ist nah dran und ich habe mir kurz nach der Lektüre in meinem Notizbuch notiert: „Dieses Buch sollten ALLE lesen!“ Und es gehört sofort auf die Liste der Bücher, die man immer wieder lesen sollte. Man vergisst so schnell das Schreckliche und verdrängt die Realität. Eine der großen menschlichen Tugenden oder vielmehr Flüche.

// Janine di Giovanni, Der Morgen als sie uns holten. Berichte aus Syrien, S. Fischer Verlag 2016.

 

Martha Gellhorn, The Face of War

Das Buch enthält die Kriegsreportagen von Martha Gellhorn. Es beginnt mit dem Krieg in Spanien 1936 und endet in der vorliegenden Fassung mit der Invasion von Panama im August 1990. Gellhorn zog es regelmäßig in die Krisengebiete der Welt. Sie wollte berichten, damit die Menschheit endlich den Schrecken begriff und aufhörte. Wie irrsinnig dieses Vorhaben war, dass die Menschheit wirklich aus ihren Fehlern lernen sollte, wird besonders in ihren Nachworten zu den unterschiedlichen Ausgaben dieses Buches deutlich. Sowohl die Einleitungen, wie auch die Nachworte der einzelnen Editionen von 1959, 1967, 1986 und 1988 sind in der Fassung von 1993 abgedruckt. Sie zeigen den eisernen Willen Gellhorns weiterhin zu berichten. Aber sie zeigen auch, wie sich anfangs die Hoffnung noch in ihr Schreiben einschleicht, die sich später dann zu einer resignierten, verzweifelten Empörung entwickelt. Aber nicht mehr zu berichten, das ist auch keine Lösung. Gellhorn war an so vielen Fronten und schafft es überall, die Menschen, die Überlebenden und die Leidenden in den Vordergrund zu stellen. Ihre Reportagen sind empathisch und aufgebracht. Sie sieht das Elend und den Schrecken, den die politischen Entscheidungen bei der Zivilbevölkerung auslösen und klagt mit ihren Reportagen an. Immer wieder taucht die Frage auf, wie kann es sein, dass wir schon so viele Kriege erlebt haben und Schreckliches gesehen haben, aber aus diesen Fehlern nicht lernen.

// Martha Gellhorn, The Face of War, Granta Books 1993.

 

Martha Gellhorn, Travels with myself and another

Neben ihren Reisen an Kriegsschauplätze, reiste Martha Gellhorn auch sonst viel durch die Welt. Es sind Reisen an ungewöhnliche Orte. Es sind nicht die Urlaubsreisen an die schönsten Orte der Welt. Gellhorn nannte sie selbst ihre Horrorreisen, die sie für dieses Buch zusammengestellt hat. Es ist faszinierend, wie schwierig und fürchterlich und elend das Reisen sein kann und Gellhorn es trotzdem nicht sein lassen konnte. Es ist fast wie eine Sucht. Der Weg, die Unterkunft, die Begleitung, das Ziel – fast alles in dieser Zusammenstellung „Travels with myself and another“ hatten einen merkwürdigen Nachgeschmack. Und trotzdem brach sie immer wieder auf. Die Faszination für andere Länder, Kulturen und vor allem die Menschen waren ihr Antrieb.

// Martha Gellhorn, Travels with myself and another, Tarcher Putnam 2001.

 

Martha Gellhorn, Ausgewählte Briefe. Herausgegeben von Caroline Moorehead

Die Briefe von Gellhorn waren das erste mit dem ich in Kontakt kam. Sie sind direkt, unerbittlich, drängend. Und ich war sofort von ihnen eingenommen. Sie eröffneten mir den Weg zu Gellhorns Reportagen, dann zu ihren literarischen Werken. Sie machten mich neugierig. Das Buch enthält Briefe aus dem Zeitraum von 1908 bis 1996, fast ein ganzes Jahrhundert. Sigrid Löffler schrieb eine Art Nachwort zu dieser Briefsammlung und einer ihrer Sätze ist im Gedächtnis geblieben und beschreibt Gellhorn und ihr Schreiben so unglaublich gut, dass es keinen Sinn macht, die Formulierung selbst zu versuchen: „In ihren Briefen ist Martha Gellhorn hinreißend: temperamentvoll, selbstironisch, ichbesessen, launenhaft, emotional, unstet, gedankenflüchtig, fordernd, exzessiv, indiskret und obsessiv mitteilsam, aber niemals langweilig.“ (S. 387).

// Martha Gellhorn, Ausgewählte Briefe. Herausgegeben von Caroline Moorehead, Dörlemann Verlag 2009.

 

Antonia Rados, Live aus Bagdad

Antonia Rados berichtete für RTL und n-tv aus dem Irak-Krieg. Über diese Zeit handelt das Buch. Es ist in Form eines Tagebuchs geschrieben. Auch sie versucht den Kriegsalltag der Menschen einzufangen. Das Buch verknüpft noch sehr viel mehr die politischen Vorkommnisse mit ihrer Arbeit. Diese sachlichen Einschübe irritieren zuerst, aber nach einer Weile ist man dankbar für diese Orientierungspunkte. Man fängt an, den Wahnsinn des politischen Schlachtfelds zu erfassen. Ebenso enthalten sind noch sehr viel mehr Einsprengsel, wie „glamourös“ – oder eben auch nicht – das Leben einer Kriegsreporterin tatsächlich ist. Eine Drehgenehmigung im Irak zu erhalten erfordert Geduld, ebenso die alltäglichen Widrigkeiten, wie etwa, was gibt es heute zu essen. Rados lässt neben den politischen Sachstandsberichten immer wieder den Blick in ihren eigenen Alltag als Reporterin in einem fernen Land zu. Was kann sie im Hotelzimmer tatsächlich sagen, sie werden abgehört? Wie bringt man die technische Ausrüstung in Sicherheit oder vermeidet, dass sie bei einem Angriff komplett vernichtet wird? Ohne Ausrüstung könnten sie nicht mehr senden und berichten. Wie bekommt man authentische Interviews oder Berichte, wenn man ständig von irakischen Aufpassern begleitet wird, die alles zensieren/kontrollieren? Auch die Entscheidungsprozesse, ob es inzwischen zu gefährlich ist, in Bagdad zu bleiben oder ob es gefährlich ist, aber noch nicht so, dass man sich zurückziehen müsste. Wie trifft man eine solche schwierige Entscheidung? Der Alltag und die Zerrissenheit einer Kriegsreporterin, die gleichzeitig hofft, es möge keinen Krieg geben, auf der anderen Seite aber darauf wartet, dass etwas passiert, damit sie berichten kann, wird mehr als deutlich.

// Antonia Rados, Live aus Bagdad, Heyne Verlag 2003.

 

Eine Amerikanerin in Hitlers Badewanne. Drei Frauen berichten über den Krieg: Margaret Bourke-White, Lee Miller und Martha Gellhorn. Herausgegeben von Elisabeth Bronfen und Daniel Kampa

Während meiner Arbeit im Museum hatte ich tatsächlich schon mit originalen Fotos von Margaret Bourke-White zu tun. Ich fand sie beeindruckend. Eines zeigte sie bei ihrer Arbeit, wie sie auf dem Chrysler-Building im Rohbau die Stadt und die Architektur von oben fotografierte. Keine Sicherungsseile. Sie hockt auf dem Adler-Gargoyle mit ihrer Kamera und fotografiert. Sie war immer ganz oben, oder ganz nah dran. Wie nah dran, erfuhr ich erst durch dieses Buch. Ich wusste auch gar nicht, dass sie neben dem Fotografieren auch Artikel schrieb. Eine beeindruckende Frau. Lee Miller dagegen kannte ich gar nicht. Den Namen hatte ich bei meiner Recherche zu Kriegsreporterinnen mal gehört, aber ich hatte bisher weder etwas von ihr gesehen noch gelesen. Über Martha Gellhorn ist nicht viel zu sagen, ich habe ja oben schon von ihr geschwärmt. Die Faszination bleibt weiterhin bestehen.

Im direkten Vergleich von drei Kriegsreporterinnen, was dank dieses Buches möglich ist, kommen die Unterschiede noch sehr viel deutlicher hervor. Bei Bourke-White blitzt trotz allem Schrecken immer mal wieder ihr Humor durch. Das hört sich auf den ersten Blick vielleicht schrecklich an. Beispielsweise die Szene, die sie beschrieb, als sie bei einer Fotosession an der Front schließlich die Feuerbefehle gab, damit diese mit ihren Kameras abgestimmt waren und der General schließlich Fotomaterial hielt und ebenso wie seine Männer einfach nur auf ihre Befehle reagierte. Trotz allem Ernst in der Situation ist es mit einem schmunzelnden Auge zu lesen. Millers Texte fand ich etwas schwieriger zu lesen. Sie sind sehr interessant konstruiert und haben fast ein bisschen Filmanleihen. Ihre Zeit in der Modefotografie kann man auch erahnen. Aber sie springt häufig von einem Thema, Ort oder Vorkommnis zum nächsten ohne dass das klar ersichtlich ist. Immer wieder unterbricht sie sich selbst mit hassvollen Einschüben über die Deutschen. Gellhorn schildert den Alltag und was der Krieg mit den Menschen anrichtet und wie sie trotzdem versuchen diesen „Alltag“ wieder einzuführen. Sie ist ebenfalls aufgebracht – ähnlich wie Miller – aber ihre Texte sind nicht von Hass geleitet, sondern von dem Wunsch zu informieren und das Unaussprechliche zu schildern.

// Eine Amerikanerin in Hitlers Badewanne. Drei Frauen berichten über den Krieg: Margaret Bourke-White, Lee Miller und Martha Gellhorn. Herausgegeben von Elisabeth Bronfen und Daniel Kampa, Hoffmann und Campe Verlag 2015.

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