Achtsamkeit

Achtsamkeit

Manchmal fordern mich die Themen für die Kolumnen so richtig heraus. Dann denke ich darauf herum und versuche einen richtigen Anpack zu bekommen. Ich fange mehrfach an und verwerfe die Sätze gleich wieder. Manchmal dauert es eine ganze Weile, bis ich den richtigen Ton treffe und manchmal muss ich den Text einfach wieder völlig beiseitelegen und etwas anderes machen. So wie heute. Ich hatte vier unterschiedliche Anfänge für diese Kolumne und keine führte mich sehr weit. Nach einem oder zwei Absätzen hatte ich mich in eine Sackgasse geschrieben.

Also habe ich das Dokument geschlossen und mir erstmal was zu essen gemacht. Beim meditativen Gemüse schnippeln kam dann – doch nichts. Ich könnte ganz achtsam über das Thema Achtsamkeit nachdenken, aber es tat sich nichts. Alles hörte sich an, als wäre es ein billiger Abklatsch von etwas anderem. Alles hörte sich an, als hätte ich es schon tausendmal gehört und gelesen.

Das mit der Achtsamkeit ist gar nicht so einfach. Da will man sich mal nur auf ein Thema konzentrieren und zwar das Thema selbst der Achtsamkeit und schon geht es drunter und drüber. Es ist ein bisschen wie, wenn jemand sagt, schau da jetzt nicht hin, aber… Was machen wir? Genau, wir schauen zu 100% hin.

Wenn ich also das Wort Achtsamkeit höre oder solche Aussagen wie „Sei achtsamer!“, dann denke ich, oh super, das hört sich spannend an. Das ist mal eine gute Idee. Das muss ich sofort ausprobieren. Ich bin ab sofort achtsamer! Aber was heißt das eigentlich? Achtsamer sein? Gibt es dafür ein Patentrezept? Und kann man achtsam zu jeder Uhrzeit sein, oder nur morgens und abends und muss ich da dieses Meditieren ausprobieren? Das habe ich ja auch schon etliche Male ausprobiert mit nur mittelmäßigem bis keinem Erfolg. Entweder reden mir die Meditationssprecher zu schnell, zu langsam, zu esoterisch, ich soll mir vorstellen ich sei ein leuchtender Stein und tadaa mein Hirn fragt sich sofort solche albernen Dinge wie – gibt es überhaupt leuchtende Steine? Kann man leuchtende Steine herstellen? Welche Chemikalien braucht man dafür? Die sehen als Dekoration sicherlich total nett aus. Das große A hat sicherlich leuchtende Steine. Apropos Leuchtmittel, ich muss die alte Glühbirne noch entsorgen. Und für die nächste Woche brauche ich auch noch frisches Brot und Frischkäse. Vielleicht sollte ich doch schon morgen einkaufen gehen.

ARGH!

Seht ihr, was passiert? Sobald jemand sagt, jetzt nicht schauen, jetzt nicht mit den Fingern ins Gesicht oder jetzt achtsam sein, löst das einen unwiderstehlichen Reflex aus, zu schauen, sich an der Nase zu kratzen oder über 100 Dinge nachzudenken.

Fast wie ein Fluchtreflex. Etwas nicht tun zu dürfen, ist der beste Garant dafür, dass es doch getan wird. Das ist praktisch eine der Grundprinzipien im Schreiben von Geschichten. Gehe auf gar keinen Fall in den Wald! Öffne niemals diese Dose! Dreh dich auf gar keinen Fall um!  Und die Story nimmt ihren Lauf.

Wenn mir jemand sagt, sei achtsam – selbst wenn ich es selbst bin, die mir das sagt – springt meine Gedankenmaschinerie in den Flcuhtmodus über. Denn die Gedanken wollen nicht eingesperrt werden. Das ist natürlich ziemlich großer Blödsinn. Mein Gehirn ist kein Gefängnis, in dem ich in jeder Zelle einen Gedanken einschließe und nur einen einzelnen zulasse. Mein Gehirn sehe ich lieber als vielfältigen Raum der Wunder, ähnlich wie das Verschwindekabinett. Manchmal poppt was auf, was man schon lange verloren glaubte, manchmal kann man Dinge kurz beiseitelegen und sie verschwinden in Lichtgeschwindigkeit. Und manchmal, wenn man sich sehr doll konzentriert sieht man nur ein verwirrendes Labyrinth aus schrägen Spiegeln, die lauter tiefe Ecken beleuchten und alle etwas blind sind. Ein Fokussieren ist nicht möglich, denn der Scheuerlappen gehört zu den Dingen, die sich ganz tief in das Kabinett verzogen haben. Aber es ist immer was los in diesem Kabinett. Ein Rumoren und Flüstern, ein Lachen, ein Weinen – es ist ein bisschen wie die Geräuschkulisse eines kleinen Cafés, in dem man sich hingesetzt hat, um endlich das Kapitel zu Ende zu schreiben und außerdem den hervorragenden Espresso zu trinken.

Ich glaube, meine „Achtsamkeit“ mag lieber die Gemütlichkeit eines Cozy Cottage und fühlt sich nur wohl, wenn jede Menge Regale mit Büchern im Raum stehen, auf die ich jederzeit zugreifen kann, aber nicht muss.

In diesem Sinne wünsche ich noch ein wunderbares Restwochenende und bleibt schön achtsam – äh cozy, 😉

eure Stephie

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